Peter Gemeinhardt und Katharina Heyden, Georg-August-Universität Göttingen.
Die Herausforderung religionsgeschichtlicher Forschung besteht darin, die Erschließung von Quellen in ihren Kontexten und ihre theoriegeleitete Erklärung mit einer historisch-kritischen Reflexion der Wissensproduktion selbst zu verknüpfen. Die Reihe Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten (RGVV) will dieser Komplementarität von historischer Kontextualisierung, theoretischer Verdichtung und disziplinärer Positionierung Rechnung tragen. Studien zu kulturspezifischen Sachzusammenhängen stehen neben vergleichenden Arbeiten, in Form von Monographien oder thematisch fokussierten Sammelbänden.
Was das Heilige ist und wie man darüber sprechen kann, ist eine offene Frage in der religionswissenschaftlichen und theologischen Forschung. Jenseits der klassischen Entwürfe von Durkheim, Otto oder Eliade kann Heiliges heute nur in multiperspektivischer Betrachtung angemessen untersucht werden. Die Beiträge zu diesem Band analysieren Diskurse über Heiliges in spätantiken Religionskulturen: griechisch-römische Religion, Judentum und Christentum. Terminologien, Handlungen und Reflexionen in Bezug auf Heiliges werden in ihrem jeweiligen religiösen Bezugssystem thematisiert, aber darüber hinaus auch miteinander ins Gespräch gebracht. Hierfür dienen Kategorien wie Zeit, Ort, Individuum und Gruppe der Zuordnung der Befunde. Besonderes Augenmerk liegt zudem auf quellensprachlichen und forschungsinternen Begrifflichkeiten von Heiligem sowie auf der geschichtlichen Dynamik von Heiligkeitsvorstellungen. Dieses interdisziplinäre Vorgehen macht Diskontinuitäten und Kontinuitäten des Diskurses über "das Heilige" in der Vielfalt seiner Erscheinungsformen präziser als bisher identifizierbar.