111 Gründe, Wien zu hassen

Die Stadt so, wie sie wirklich ist, Hobby/Freizeit
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190x180x19 mm
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Lust, Markus
MARKUS LUST, 1982, ist Chefredakteur von VICE Österreich. Er lebt seit 15 Jahren in Wien, was für manche ein Leben und für geborene Wiener natürlich nicht lang genug ist. Unter anderem veröffentlichte Lust bereits mehrere internationale Artikel zu Wien. Zuletzt widmete ihm die Washington Post einen guten Teil ihres Wien-Porträts.
Weil die Kaffeehaus-Kultur genauso echt ist wie Disney-Land. Weil Wien von einem Minenfeld aus Hundekacke durchzogen ist. Weil man hier Fadesse mit Lebensqualität verwechselt. Weil es mehr Regeln als Einwohner gibt. Weil der bürokratische Apparat von Kafka stammen könnte. Weil sich die Sonntage hier wie im Dorf anfühlen. Weil Wien hoffnungslos überaltert ist. Weil der Kaffee in Wahrheit letztklassig ist. Weil wir uns Künstler nur als Hofnarren halten. Weil Knausrigkeit hier eine Tugend darstellt. Weil Wien die stilloseste Großstadt der Welt ist. Weil sogar die Promis hier provinziell sind. Weil die Wiener Unfreundlichkeit mit Charakter verwechseln. Weil man hier noch in Postkarten statt in Schnappschüssen denkt. Weil Wien immer noch der Vergnügungspark der katholischen Kirche ist. Weil es das Schlechteste aus den Menschen herausholt. Weil der "Staatsfeind" der Medien ein harmloser Sprayer ist. Weil die Welt hier immer noch 50 Jahre später untergeht. Weil die Imbissbuden Zeitreisekapseln in die 90er sind. Weil wir unseren Minderwertigkeitskomplex mit Größenwahn ausgleichen.
Wien gilt als Geburtsort des Schnitzels, Wiege der Hochkultur und Stadt mit der höchsten Lebensqualität. Das klingt so weit ziemlich sensationell, bis man die eine Sache tut, die Wiener am wenigsten ausstehen können: nämlich ihre Postkarten-Idylle hinterfragen.

Dann bemerkt man ziemlich rasch, dass das Schnitzel eigentlich aus Mailand kommt, die Hochkultur hier nur noch im Museum existiert und die Daten zur Lebensqualität von einem Personalunternehmen erhoben werden, das alljährlich gut situierte Auslandsmitarbeiter befragt, in welcher Stadt man sich mit viel Taschengeld am besten vor der rauen Realität des 21. Jahrhunderts verstecken kann.

Das klingt zwar weitaus weniger sensationell, beschreibt aber viel besser, was Wien wirklich ist: nämlich ein Ort des charmanten, walzertanzenden Selbstbetrugs und der mondänen Verlogenheit. Hinter jedem "Küss die Hand" lauert ein "Heast, Gschissener", hinter jedem Minderwertigkeitskomplex ein bisschen Größenwahn - und hinter jeder Ecke ein Haufen Hundekot.

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