Lizst und Osteuropa

Lizst Jahrbuch 2022/23
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Gewicht:
212 g
Format:
235x156x8 mm
Beschreibung:

Liszt und Osteuropa oder - weniger kartographisch gedacht - Liszt und der Osten ist ein faszinierendes Thema. Dies zunächst, weil sich damit sofort ein kultursoziologisches Spannungsgefüge auftut, das mit dem von Stuart Hall 1992 geprägten Schlagwort »The West and the Rest« mindestens den Reflex, wenn nicht das Bedürfnis auslöst, Denkfigurenvon Zweitrangigkeit oder Peripherie abzuschütteln. Dies auch, weil die Liszt-Forschung zu lange unter Spaltungsprozessen nationaler Ost-West-Prägung gelitten hat: Das betrifft nicht nur den Eisernen Vorhang, der bis 1989 beiderseits die Nachkriegsforschungen behinderte - sei es in punkto Quellen-Sichtungen, sei es in punkto politisch unerwünschterZusammenarbeit -, sondern auch diverse, in West und Ost begonnene, oft nicht aufeinander abgestimmte Forschungsprojekte, von denen viele bis heute nicht beendet wurden. Und schließlich ist der Biographie FranzLiszts selbst ebenso eine polyglotte Internationalität und reisende Beweglichkeit wie eine merkwürdig lokale Beharrlichkeit zu eigen, ausgerechnet im (später ostdeutschen) Städtchen Weimar die längste Zeit an einem Ortgelebt zu haben. Waren ihm die Kategorien West und Ost, Nord und Süd, die das nationalpatriotisch erhitzte 19. und erstrecht das 20. Jahrhundert prägten, überhaupt bewusst? Innere Spannungen der Nichtzugehörigkeitwird er zumindest empfunden haben, als jemand, der in einem Landstrich geboren wurde, der sich erst danach »Königreich Ungarn« nannte, zumal er die ungarische Sprache kaum beherrschte. Reagierte er deshalb so patriotisch übersteuert auf die Ehrungen, die ihm später als neu installierter Nationalkomponist in Ungarn zuteil wurden? Doch waren ihmdiese offenbar auch nicht wichtig genug, um sich dauerhaft in der neuen und alten Heimat niederzulassen, mindestens in diesem Punkt blieb er auf Distanz. Immerhin bot die massive Magyarisierungspolitik nach 1866auch Liszt die Möglichkeit, am jungen, freilich konstruierten Gebäude desauch musikalischen Nation Buildings tatkräftig mitzuwirken. Als klugerMarketingstratege mag er - als freier, humanistisch gesinnter Geist - eindenkbares Unbehagen einmal beiseite gelassen haben.Mag Liszt vielleicht über keine intrinsischen nationalpatriotischenMotivationen und auch nicht über das Bewusstsein verfügt haben, im'Osten' geboren worden zu sein, so zeigt der Blick in die geographischeRegion des Ostens doch eines ganz deutlich: Zahlreiche osteuropäischeund russische Komponisten haben sich Liszts Musik zum Vorbild undals Anregung genommen, mit ganz unterschiedlichen Ambitionen undErfolgen, aber in einem schon rein quantitativen Ausmaß, das aufhorchenlässt. Weder in England noch in Frankreich hat Liszt eine derartig produktive Rezeption erlebt, in Italien und Deutschland standen zwar für eine Weile noch nach 1900 die Sinfonischen Sichtungen im Sichtfeldder Rezeption, sie verschwanden aber ebenso rasch aus dem kulturellenGedächtnis wie seine großen Konzerte, die Transkriptionen, Lieder undVokalstücke. Übrig blieb die virtuose Klaviermusik, die heute unser klanglichesLiszt-Bild prägt, aber nur eine Nuance seines Schaffens ausmacht.Was reizte die Komponisten aus Tschechien, Ungarn, Polen und Russlandan seiner Musik? War es die Musik selbst, Liszts ungarische Vereinnahmungund damit sein musikpatriotisches Vorbild, oder doch seinesupranationale Identität?Um sich diesem großen Fragekomplex anzunähern, haben die Autorinnen und Autoren dieses bereits vierten Liszt-Jahrbuches zahlreiche Perspektiven auf den Osten und das Nationale in Liszts Schaffen sowiedie Rezeption Liszts in Osteuropa und Russland geworfen. Dorothea Redepenning (Heidelberg) gibt zunächst eine Einführung in das Thema »Liszt und Osteuropa«, bevor Stefan Keym (Leipzig) »Liszt und die Rolledes Nationalkomponisten in Osteuropa« befragt. Malgorzata Gamrat (Lublin) untersucht Liszts Vertonung der Romanze »Les pleurs des femmes« der russischen Dichterin Karolina Karlovna Pavlova. Jirí Kopecký (Olomouc) richtet eine

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