Rotes Kreuz und Weiße Fahne

Henry Dunant 1828-1910 - Der Mensch hinter seinem Werk. Mit einem Geleitwort von Rudolf Seiters
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ISBN-13:
9783938275832
Veröffentl:
2010
Seiten:
360
Autor:
Gisela Riesenberger
Gewicht:
616 g
Format:
227x125x34 mm
Serie:
17, Schriftenreihe Geschichte & Frieden
Sprache:
Deutsch
Beschreibung:

Dr. phil., Professor für Zeitgeschichte und Didaktik der Geschichte in Paderborn (em.), Buchpublikationen zur Geschichte der DDR, des Nationalsozialismus, der Friedensbewegung, des Internationalen und des Deutschen Roten Kreuzes.Oberstudienrätin a.D., Studium der Romanistik und der Germanistik, publizierte Artikel und Aufsätze zur französischen und zur deutschen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts - auch als Übersetzerin tätig.
Mit religiösem Enthusiasmus und jugendlicher Dynamik strebt Henry Dunant nach einem ebenso wirtschaftlich erfolgreichen wie gottgefälligen Leben, gerät 1859 auf das Schlachtfeld von Solferino und erwirbt sich als Gründer des Roten Kreuzes und - wie schon in jüngeren Jahren - des CVJM unvergängliche Verdienste. Als Protagonist eines christlichen Zionismus setzt er sich auf der Grundlage eines friedlichen Nebeneinander für den Aufbau sowohl eines israelischen als auch eines palästinensischen Staates ein und entwirft Siedlungsprojekte auf dem Boden des Heiligen Landes. Fehlspekulationen und eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Betruges stürzen Dunant ins Elend - und er zieht als Vagabund durch Europa. Seinen Gegnern gelingt es beinahe, ihn vergessen zu machen. Von schweren Depressionen und Verfolgungsängsten heimgesucht, bereitet der Totgeglaubte seine Rehabilitierung vor und erhält 1901 zusammen mit Frédéric Passy den Friedensnobelpreis. Als Kritiker des Militarismus und europäischen Kolonialismus sowie des etablierten Christentums tritt der Pazifist erneut an die Öffentlichkeit und erweist sich, indem er vor künftigen Katastrophen warnt, als Visionär von bleibender Aktualität. Während ihn bisherige Darstellungen vorrangig im Licht und Schatten des Roten Kreuzes sehen, gehen Dieter und Gisela Riesenberger in ihrer Biografie bewusst den Widersprüchen in der Person Henry Dunants nach, zeigen seine Höhen und Tiefen, führen sein facettenreiches Denken und Handeln vor Augen und würdigen ihn als "großen Menschen" hinter seinem Werk.
Aus dem Inhalt
Aufstieg und Fall
Religiöser Enthusiasmus und jugendliche Dynamik
"Eine Erinnerung an Solferino" und die Genfer Konvention
Ausgrenzung und neue Projekte
Im belagerten Paris 1870/71
Leben am Abgrund
Späte Anerkennung und späte Ehrungen
In Heiden
Kampf um die Rehabilitierung
Wende zum Pazifismus
Letzte Jahre

Aus Texten Henry Dunants
Wahrheit und Vorurteile
Diese Völker, die wir geknechtet haben
Kasernierung des menschlichen Geistes
Henry Dunant war mehr als nur der Gründer des Roten Kreuzes und des von ihm in seiner Heimatstadt Genf schon Jahre zuvor ins Leben gerufenen CVJM, dem inzwischen weltweit mehr als 57 Millionen Menschen angehören. Als er vor 100 Jahren am 30. Oktober 1910 starb, bestanden 37 nationale Rotkreuzgesellschaften; heute sind es 186. Trotz dieser Erfolge und der Verleihung des Friedensnobelpreises (1901) hat sein Leben bislang kein größeres Interesse gefunden. Zu Unrecht wird er zumeist im Licht und Schatten des Roten Kreuzes gesehen; denn er war eine europäische "Ausnahmegestalt", deren humanitäres, religiöses, soziales und pazifistisches Engagement von Irrungen und Wirrungen begleitet war, wie wohl selten im Leben eines Menschen. Um so verdienstvoller, dass nun eine Biografie über ihn von Dieter und Gisela Riesenberger vorliegt. Einfühlsam nähern sie sich dem Menschen Dunant, führen seinen religiösen Enthusiasmus und seine jugendliche Dynamik, seine Widersprüchlichkeit und Radikalität, seine Stärken und Schwächen, sein Organisationstalent und seine Weitsicht, seine Irrtümer und Visionen vor Augen. Sie sehen ihn nicht nur als Helfer der Verwundeten und Sterbenden auf dem Schlachtfeld von Solferino (1859) und reduzieren ihn nicht auf sein Hilfswerk. Konsequent gehen die Autoren dem Spannungsverhältnis von Dunants Bemühen um ein ebenso wirtschaftlich erfolgreiches wie gottgefälliges Leben nach und schildern ihn als eine "außergewöhnliche Persönlichkeit", die sich in einem schwierigen und wechselvollen Dasein von der Idee der Freiheit, Toleranz und Menschlichkeit, aber auch von missionarischem Eifer leiten ließ. Obwohl bereits in den 1860er Jahren eine berühmte Persönlichkeit, gelang es dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes und dessen Präsidenten Gustave Moynier, von 1864 bis 1904 im Amt, die Bedeutung Dunants zunächst vergessen zu machen. Dabei spielte aber nicht nur dessen Verurteilung wegen Betruges (1868) eine Rolle, sondern auch und vor allem, dass Moyniers Haltung gegenüber Dunant auf einer inhaltlichen Kontroverse beruhte, die eine Verständigung der beiden geradezu ausschloss. Moynier wollte das Rote Kreuz allein als eine Hilfsorganisation in Kriegszeiten verstehen, während Dunant es als eine wichtige Vorstufe im Kampf um mehr Humanität, Fortschritt und Zivilisation betrachtete. Sein Erlebnis der blutigen Schlacht von Solferino und seine Weltberühmtheit erlangende Schrift "Eine Erinnerung an Solferino" (1862) - ein "einzigartiges Dokument der Menschlichkeit" - machten ihn zum "Urheber der Genfer Konvention", die im Jahre 1864 die in Kriegen verwundeten und erkrankten Soldaten unter den Schutz völkerrechtlicher Vereinbarungen stellte und auch die militärischen und freiwilligen Sanitätsdienste sowie ihre Einrichtungen schützte. Doch er wollte mehr. Mit der Gründung seiner "Weltweiten Allianz für Ordnung und Zivilisation" (1872) strebte er danach, die "Genfer Konvention" durch internationale Abkommen zu Fragen der Sklaverei, des Kriegsgefangenenproblems und der Schiedsgerichtsbarkeit in eine umfassende Allianz zur Erhaltung des Friedens und zum Ausbau einer bürgerlich-humanen Gesellschaftsordnung weiter zu entwickeln, scheiterte aber mit seinem Plan. Seine Verurteilung, der Fehlspekulationen vorausgingen, stürzte Dunant in Armut und tiefe Verzweiflung. Fortan führte er ein Vagabundenleben, das ihn durch ganz Europa führte. Er galt als verschollen, und viele hielten ihn für tot. Sein fortschreitender Krankheitsprozess - er litt unter Depressionen und Verfolgungsangst - hinderte ihn nicht, den Kampf um seine Rehabilitierung aufzunehmen. Freunde und schließlich die öffentliche Meinung selbst halfen, dass sein Lebenswerk große Anerkennung erfuhr. Aber er gab sich erneut nicht zufrieden und warnte die sogenannten christlichen und zivilisierten Staaten vor einem Abgleiten in die Katastrophe und vor dem drohenden Verlust humanitärer Grundsätze: "Wenn in einer Nation der Respekt vor dem menschlichen Leben schwindet, das moralische Empfinden erlischt, der Patriotismus sich verdichtet, die ehrwürdigen Traditionen verloren gehen, wird ihr Himmel verhangen, - und es erhebt sich allein der Kult des Wohlbehagens auf Kosten des Anstands." Seine Wende zum Pazifismus und die Freundschaft mit Bertha von Suttner schärften seinen Blick für die Fehlentwicklungen seiner Gegenwart: den Rüstungswettlauf, den ausbeuterischen Imperialismus und den menschenverachtenden Militarismus, aber auch für das Versagen der Kirchen, die sich nicht scheuten, die todbringenden Waffen zu segnen. So kam er zu der bitteren Erkenntnis: "Die zwei großen Feinde der Humanität sind der Staat und die Kirche. Sie sind die geistige und moralische Quelle aller Sklaverei, zwei willkürlich ineinandergreifende Kräfte - die erste brutal und macchiavellistisch, heuchlerisch und despotisch, die andere verlogen und fanatisch." Doch ist Dunant nicht nur als profunder Kritiker des Militarismus und des europäischen Kolonialismus sowie des etablierten Christentums hervorgetreten. Als Protagonist eines christlichen Zionismus setzte er sich auf der Grundlage eines friedlichen Nebeneinander für den Aufbau sowohl eines israelischen als auch eines palästinensischen Staates ein und entwarf Siedlungsprojekte auf dem Boden des Heiligen Landes. Auch hier wird deutlich, dass Dunant seiner Zeit weit voraus war. Zunächst anerkannt, dann ins Elend gestoßen und beinahe vergessen gemacht, ein Vagabund, mit dem keiner mehr rechnet und etwas zu tun haben will, schließlich wieder ins öffentliche Leben zurückgekehrt, mit Ehrungen überschüttet und als Warner vor künftigen Katastrophen hervortretend - eine überaus bemerkenswerte Gestalt der Zeitgeschichte, die uns Heutigen in vielen Belangen näher steht als seinen Zeitgenossen und den Leser mehr als nachdenklich stimmen sollte.

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